Kamerajagd auf den Kobold der Wälder

7. Juli 2016

Baummarder bei Tageslicht fotografieren? Geht nicht, denkt man im ersten Augenblick. Aber geeignete Fotoverstecke – so genannte „Hides“ – ermöglichen es den Tierfotografen, formatfüllende Momentaufnahmen aus dem Leben heimlicher Tiere zu erhalten. Wir waren in Norwegen an zwei Tagen in einen Hide auf der Lauer – mit Erfolg!

Der Baummarder ist im Gegensatz zu seinem Bruder, dem Steinmarder, ein selten gesehenes und heimliches Tier. Während sich der Steinmarder als ursprünglicher Felsbewohner in unseren Siedlungsgebieten wohl fühlt, verlässt der Baummarder seinen angestammten Lebensraum, den Wald, nur selten. Wie der Steinmarder ist auch der Baummarder vor allem dämmerungs- und nachtaktiv und entsprechend schwer macht er es uns Tierfotografen, ihn bei genügend Licht auf digitalen Film zu bannen. Aber zum Glück gibt es idealistische Ökotourismus-Unternehmer:

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Moni versteckt Leckerli vor dem Hide, um Baummarder anzulocken und vor die Linsen zu bringen

Dank dem Bau von Fotoverstecken, so genannten „Hides“, bieten sich heute viele Gelegenheiten, auch scheue Tiere vor die Linse zu bringen. Die Angebote solcher Hides sind im Aufwind. Aber hinter einem guten Hide steckt viel Arbeit und Knowhow! Er muss am richtigen Ort gebaut sein, oft braucht es jahrelanges regelmässiges Anfüttern mit kleinen Leckereien und die Hütten müssen regelmässig gewartet werden. Wir Tierfotografen wissen diese Angebote zu schätzen und entsprechend glücklich waren wir, als wir für zwei Tage einen Baummarder-Hide in Norwegen buchen konnten.

_HO18762_kUnsere Ferien neigen sich zwar dem Ende zu, aber fotografisch steht uns der Höhepunkt noch bevor – zumindest wäre es so geplant. Aber klappt es auch? Unser zeitweiliges Zuhause ist zwar perfekt: Eine Holzhütte mit grosser Terrasse und Blick auf das Meer, innen eine kleine Küche und das Wichtigste: ein Holzofen, den wir sofort in Betrieb nehmen. Aber bei unserer Ankunft peitscht stürmischer Wind über die See und verteilt die Gischt, die Bäume rauschen, der Regen klatscht an die Fensterscheiben und die Wetterprognosen versprechen keine Besserung. Trotzdem treffen wir uns auf den späten Nachmittag mit den Betreibern des Hides zum Kaffee.

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Blaumeisen und andere Singvögel verkürzen uns die Zeit zwischen den Baummarder-Besuchen

Anschliessend zeigen uns Kurt und sein Dolmetscherkollege den Weg zum Hide und weihen uns in das Beschicken mit dem Köder ein. Kurt fotografiert hier selber regelmässig und gibt uns gute Tipps, wo wir am besten den Honig hinstreichen und die Rosinen hinlegen sollen, damit wir den tierischen Besucher in der richtigen Distanz und mit gutem Hintergrund vor die Linse kriegen. Nicht zu vergessen das Futter für die Singvögel und den Weissrückenspecht, um sich die Zeit zwischen den Baummarderbesuchen zu verkürzen. Danach gehört der Hide für die nächsten zwei Tage uns und ausser dem Wetter steht nichts mehr im Weg. Aufmerksam prägen wir uns die Orte ein und freuen uns diebisch auf den kommenden Tag.

Wer wagt gewinnt

_HO20726_k8:00 Uhr: Schon früh sitzen wir im Hide – es hat am Abend wieder angefangen zu regnen und noch immer tropft es von den Bäumen. Es ist zu dunkel, um zu fotografieren, aber Kleiber, Tannenmeise, Kohlmeise und Weidenmeise sind schon aktiv und wacker daran, die Sonnenblumenkerne zu knacken.

10:20 Uhr: Der Regen hört auf! Das Licht wird zunehmend besser. Der Baummarder lässt sich zwar nicht blicken, also konzentrieren wir uns auf die Singvögel und merken dabei gar nicht, wie die Zeit vergeht.

12:00 Uhr: Entgegen allen Wettervorhersagen bricht jetzt sogar die Sonne durch die Wolken – genügend Licht für den Baummarder – aber der ziert sich nach wie vor.

16: 10 Uhr: Da! Links von uns! Er schaut aus dem Hohlraum unter dem Felsvorsprung hervor und reckt seine braune Nase in die Luft. Verharrt. Dann springt der schlanke Marder leichtfüssig den Hang hinunter. Drei, vier Hopser und schon verschwindet er wieder unter einem Stein. Mist, das ging zu schnell, kein Foto und der kleine Kobold ist schon wieder weg. Unser Herz pocht, unsere Zeigfinger kleben am Auslöser, die Linsen verharren im schwarzen leeren Loch, wo wir das flinke Kerlchen haben verschwinden sehen. Langsam wird der Nacken starr, der Schmerz des vorher angeschlagenen Knies dringt an die Oberfläche und ein erstes Knarren des Stuhls zeugt von der nachlassenden Anspannung.

Der Baummarder ist heimlich, das wussten wir schon. Aber das war hoffentlich nicht sein einziger Auftritt? Jedenfalls wurden wir bereits Zeuge von seiner Bewegungsweise. Auch ein Baummarder lebt gefährlich und so nutzt er geschickt Deckung gebenden Felsstrukturen und die Vegetation. Und da sich der Hide auf einem ehemaligen grobblockigen Felssturz befindet, gibt es genügend Hohlräume.

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16:15 Uhr: Er hat uns an der Nase herum geführt! Plötzlich taucht er nur gerade 10 m vor uns hinter einem Felsblock auf – genügend Zeit für ein paar schnelle Porträts. Dann macht er ein paar flinke Hüpfer und sucht nun während 15 Minuten systematisch die verschiedenen Verstecke ab. Wir fotografieren, was das Zeugs hält. Dass er übrigens systematisch die Verstecke aufsucht ist kein Wunder, denn der Hide existiert bereits seit mehreren Jahren und die Baummarder finden hier seit Generationen immer wieder kleine Leckerbissen. Auch wenn der Baummarder von der Systematik her zu den Carnivoren, also Fleischfressern, gehört, so ist er nicht wählerisch: von Eichhörnchen über Jungvögel, Eiern, Mäusen, Insekten, Früchten usw. nimmt er alles, was für ihn erreichbar ist. Übrigens ist der Baummarder wie der Steinmarder auch ein Fan von Schokolade. Es gibt ja einige erfahrene Fallenjäger, die beispielsweise den Boden von Mohrenköpfen als Köder benutzen.

16: 30 Uhr: Leider verlässt der Baummarder die Bühne, aber wir sind überglücklich. Wann hat man schon die Gelegenheit, 20 Minuten einem Baummarder zuzusehen; zu bewundern, wie er sich geschickt fortbewegt, behende auf Bäume klettert und mit seinem guten Riecher alle Verstecke zielsicher aufsucht – und genüsslich von den leckeren Ködern nascht. In unserer ganzen Fotografen- und Jägerlaufbahn haben wir zwei zusammen erst dreimal einen Baummarder gesehen, immer nur während wenigen Sekunden.

_HO20152_Bildgröße ändern17:40 Uhr: Unsere Wachsamkeit hat nachgelassen – wir sinnen dem Erlebten nach und werden überrascht, als urplötzlich der Baummarder wieder auftaucht. Ist denn das die Möglichkeit? Rasch kleben unser Zeigfinger wieder am Auslöser fest und wir drücken los. Noch immer kein Regen, der Himmel kaum bedeckt, aber wir sind im Wald und da heisst es halt nach wie vor mit recht hohen Isozahlen zu arbeiten, um kurze Verschlusszeiten zu erhalten. Immerhin ist der flinke Marder beinahe ständig in Bewegung, und wenn er sich bewegt, dann mardertypisch ruckartig und blitzschnell. Gottseidank steckt die Canon 1D Mark IV auch 800 oder sogar 1000 Iso gut weg.

18:10 Uhr: Der Vorhang fällt, der Baummarder zieht von dannen. Und wir können unser Glück kaum fassen – zweimal am selben Tag diesen sympathischen Kobolden während je 20 bis 30 Minuten beobachten und fotografieren können, das ist doch was! Als Zugabe erscheinen dann noch kurz Gimpel und Weissrückenspecht, auch nicht schlecht. Zufrieden und mit vollen Chipkarten verlassen wir den Hide und machen uns auf den kurzen Heimweg zur Hütte. Zum Glück haben wir uns von den Wettervorhersagen nicht abschrecken lassen!

Norwegische Präzision

_HO21035_Bildgröße ändernAm nächsten Morgen regnet es wieder, wir entscheiden uns, etwas später zum Hide zu gehen, denn fotografieren könnte man zur Zeit sowieso nicht. Um 9 Uhr sind wir vor Ort, es stürmt wieder, ist dunkel wie … aber dennoch beschicken wir erneut die erfolgversprechendsten Orte mit dem Baummarderköder und vergessen natürlich auch das Futter für unsere gefiederten Freunde nicht. Wieder lässt der Regen im Verlaufe des Morgens nach und es wird heller, so dass wir recht gut die verschiedensten Singvögel fotografieren können. Es ist Mittag und noch kein Marder. Es geht gegen 16 Uhr zu und nun werden wir ungeduldig, hören auf zu fotografieren und scannen dauernd die Gegend auf verdächtige Bewegungen ab. Und tatsächlich, fast zeitgleich wie gestern, um 16:05 taucht der Baummarder wieder auf, beglückt uns mit seiner Anwesenheit während 25 Minuten.

Und dann die zweite Überraschung: Auf die Minute genau, gleich wie am Vortag, um 17:40 Uhr, streckt der Marder wieder seine Nase in den Wind. Als Schweizer sind wir uns Präzision ja gewohnt – aber doch nicht bei Baummardern! Erst später beim Sichten der vielen, vielen Fotos bemerken wir, dass es sich bei den zeitlich verschobenen Besuchern pro Tag um zwei verschiedene Individuen gehandelt haben muss. Und das Erstaunliche dabei: Sie erschienen an beiden Tagen in umgekehrter Reihenfolge.

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